Als ich zu fühlen begann
Wo soll ich anfangen, ich bin Anfang 50, einige therapeutische Erfahrungen, in denen ich mir schon sehr nahe gekommen bin – aber, es fehlte in mir etwas. Ab hier Dies habe ich gespürt, irgendwas klopfte von innen her an – anders kann ich es nicht beschreiben. Und wollte gesehen werden.
Ich hatte immer das Gefühl, dass ich vom Kopf her sehr klar bin und wenn ich mich erklären sollte in irgendeiner Form, konnte oder kann ich es sehr gut. Ich kann also gut reden. Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich dabei nicht fühle – das habe ich genau gespürt. Wenn ich gefragt wurde, was fühlst du – konnte ich es nicht sagen, dies stimmt nicht ganz, entweder sagte ich „Gut, nicht so gut, geht so, ich weiß nicht genau.“ Mir fehlten die Worte für die Gefühle. Was ich sagte, waren Erklärungen über mich, aber keine Gefühle. Das spürte ich, eine Sehnsucht machte sich in mir breit – fühlen zu können.
Aber ich wusste nicht, wie das geht – wie fühle ich? Ich folgte meinem Impuls und ging zu einem mir bekannten Therapeuten, der mich schon von früher kannte, und pragmatisch wie ich bin, dachte ich, da brauche ich nicht so viel zu erzählen. Ich wusste, dass er mit dem begleiteten Wiedererleben arbeitete – aber was dies tatsächlich ist, wusste ich nicht, wie sich dann herausstellte. Ich kann mich nicht an jede einzelne Sitzung erinnern, von daher werde ich das wiedergeben, was mir jetzt in diesem Moment des Schreibens einfällt – einfach, was kommt.
Ich legte mich auf die Couch und sollte einfach nur spüren, das Gefühl, das gerade da war, ich weiß nicht mehr genau was es war, eine tiefe Angst – aber ich ging immer tiefer in mich hinein, es kamen Bilder, Situationen, mein Körper reagierte. Ich bewegte meine Arme, mein Kopf ging immer hin und her und immer wenn ich aus der Situation raus wollte, wurde ich gebeten wieder zurückzugehen und weiterzumachen. Ich verlor das Gefühl von Zeit und Ort und irgendwann hatte ich das Gefühl, dass jemand mir nach dem Leben trachtet – dieses Gefühl war so übermächtig, dass es unglaublich war – alleine dies auszusprechen hatte für mich eine Art von Befreiung – und als ich es aussprach, tauchte auch langsam ein Bild auf. Von der Zeit meiner Geburt. Ich bin als eineiige Zwillingsschwester geboren – und ich erlebte meine Geburt bzw. die Situation – die so wahr war als würde es gerade passieren – es war unglaublich. Es war so, dass ich als Zweiter Zwilling geboren wurde – keiner wusste etwas von mir – man hatte mit einem Kind, also mit meiner Zwillingsschwester, gerechnet – aber nicht mit mir. Als Frühchen 7 Monate. Ich lag auf einer kalten Unterlage in grellem Licht und keiner kümmerte sich um mich. Ich hörte den Arzt sagen: „Die ist sehr schwach, wenn die das man überhaupt überlebt.“ Der Arzt ging aus dem Zimmer und meine Oma sagte – zu meiner Mutter: „Dann töte sie doch, dann sagen wir einfach, du hast nur ein Kind bekommen.“
Meine Mutter sagte: „Nein, entweder sie schafft es alleine oder gar nicht.“ Dann war die Szene vorbei.
Ich tauchte langsam wieder auf. In die Gegenwart zurück.
Ich hatte das Gefühl, dass ich jetzt ein Geheimnis gelüftet habe für mich, das für mein Leben hier auf dieser Erde wichtig ist. Und ich wusste sofort, dies ist wirklich geschehen. Dies ist mir passiert – keiner anderen Person. Es war beides im Moment – unglaublich und auch so sicher.
Die Tage nach dieser Sitzung waren sehr aufregend – ich rief meine Zwillingsschwester an und erzählte ihr mein Erleben und es kam so noch ein Puzzleteil dazu. Viele Dinge, die ich als Kind wahrgenommen habe als diffuses Gefühl, ergaben jetzt einen Sinn.
Dies ist nur eine Geschichte aus meinem Leben, der noch viele folgten, immer mit Hilfe des begleitenden Wiedererlebens.
Ich komme langsam an meine Gefühle, manchmal fühle ich mich überflutet von dem, was an Gefühlen in mir ist – für die ich immer mehr Worte finde, langsam aber immer sicherer. Es ist so als ob ein Nebel, ein dünner Vorhang weg ist, der vorher da war.
Das ist nicht immer schön und auch oft schwer auszuhalten, manchmal denke ich, ich bin verrückt – aber sobald ich dies äußere, ist es weg – und irgendetwas beginnt zu fließen.
Ich möchte nicht mehr zurück. Ich werde mit Sicherheit noch ein paar Sitzungen machen, weil ich einfach weiter möchte, ich möchte die werden, die ich eigentlich bin – und wenn es mir nur für ein paar Momente gelingt.
Dafür lohnt es sich allemal.